Vom Flachs zum Leinen
Nach Erzählungen von Hermann Winnemuth Tiestr. 18
Aufgeschrieben, Fotos/Repro: Georg Hoffmann März 2021
Vom Flachs ...
...zum Leinen
Flachs ist eine alte Kulturpflanze, die zur Faser- und zur Ölgewinnung weltweit angebaut wurde. In unserer Region baute und verarbeitete man die Pflanze bis zum Ende der 1920er Jahre. Der Anbau und die Verarbeitung vom Flachs zu Leinen waren sehr aufwendig.
Eine alte Bauernregel besagt, dass am 100. Tag des Jahres der Flachs ausgesät wird und 100 Tage später, wenn die Samenkapseln sich gelb gefärbt haben geerntet wird.
Flachsfeld vor der Ernte Flachs vor der Verarbeitung
Bei der Ernte wurde der Pflanze mit der Hand und komplett mit den Wurzeln aus der Erde ausgerupft und auf die Erde gelegt. Das war Arbeit der Männer. Die nachfolgenden Frauen nahmen die Pflanzen auf und banden Garben daraus. Diese durften nur so dick sein, dass man sie gut in zwei Händen halten konnte. Zu je 10 Garben wurden diese in Hocken (Haufen) auf dem Feld zum Trocknen aufgestellt.
Die Weiterverarbeitung erfolgte zu Hause auf der “Tenne“, dem Arbeits- und Wirtschaftraum der alten Bauernhäuser. Die Tenne wurde mit Laken ausgelegt und darauf der Riffel gestellt. Dieser Riffel (Kamm) bestand aus einem Holzstamm, in dem in bestimmten Abständen spitze Eisenstäbe eingelassen sind.
Jetzt wurden die Garben geriffelt. Dabei wurden diese durch den Riffel gezogen, wodurch die Samenkapseln vom Stängel getrennt wurden und auf die ausgebreiteten Laken fielen. So ging kein wertvoller Leinsamen verloren. *1)
Sandsteinbrücke über der Schede
Oft noch am selben Tag, an dem der Flachs geriffelt wurde, brachte man die Flachsgarben mit dem Fuhrwerk außerhalb des Dorfes zu den Flachsrotten. Diese lagen in Bühren zwischen der Schedequelle und den heutigen Fischteichen. Die alte Flurbezeichnug, „up`n Raten“, weist noch heute auf ihre Lage hin. Eine aus Sandstein behauene und gesetzte Bogenbrücke über die Schede weist noch heute auf die Wichtigkeit dieser Feldflur hin.
Flachsrotten in Bühren
Nach dem 2. Weltkrieg konnten sich Flüchtlinge hier Gemüsegärten anlegen. Später wurde die Fläche zum Schulgarten und 1985 durch die Realgemeinde aufgeforstet.
In diesem Bereich hatten die reiheberechtigten Bührener Bauern, also die Mitglieder der Realgemeinde, ihre Flachsrotten. Das waren ca. 3 x 3 Meter große und 1,5 Meter tiefe Gruben, durch die das Wasser der Schede flossen. In diese mit Schedewasser gefüllten Gruben, Raten oder auch Rotten, wurden die Flachsgarben übereinandergelegt, mit Brettern bedeckt, welche noch mit Steinen beschwert wurden, damit die Garben vollständig mit Wasser bedeckt waren.
Ca. einen Monat musste der Flachs in den Gruppen zum Rotten verbleiben. Die große Kunst dabei war, zum richtigen Zeitpunkt den Vorgang zu beenden. Das Rotten war sehr wichtig, damit man bei der späteren Bearbeitung die Faser vom hölzernen Teil trennen konnte.
Nach der Rotte wurden die Garben zum Trocknen auf die abgeernteten Felder gestellt. Die weitere Verarbeitung erfolgte wiederum im Haus.
Flachsbrecher
Die trockenen Flachsstengel wurden bündelweise durch die Flachsbreche gezogen und gleichzeitig wird dabei der bewegliche obere Teil der Breche auf- und abgeschlagen. Auf diese Weise wurden die holzigen Teile der Stengel gebrochen und fielen zum Teil auf den Boden.
Über das aufrechtstehende Brett des Schwingstockes wurde ein Bündel des gebrochenen Flachses gehängt und mit einer Hand festgehalten. Mit dem Schwingmesser in der anderen Hand wurde der Flachs solange bearbeitet, bis kurze Fasern und die restlichen Holzteilchen herausgefallen sind und nur die längeren Fasern, der sogenannte Schwingflachs, übrig blieb.
Die kurzen Fasern die beim Schwingen abfielen wurden Schwinghede genannt. Sie wurden später zu gröberen Garnen versponnen.
Die herausgefallenen Holzstückchen fanden Verwendung als Brennmaterial oder als Beigabe zur Herstellung von Lehmsteinen.
Hechelbock
Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck:
Der „Feinschliff“ erfolgte im nächsten Arbeitsschritt, dem Hecheln.
Dabei wurde der Schwingflachs bündelweise mehrmals durch die unterschiedlichen, groben, mittleren und feinen Eisenbürsten gezogen. Dadurch wurden die Fasern weiter aufgefasert
Die kurzen Fasern, die herausgekämmt wurden, Hechelhede oder Werg genannt, konnten zum Abdichten von Holzgefäßen oder Leitungen verwendet werden.
An den langen Winterabenden wurden die Flachsfasern versponnen. Dazu befestigte man die Flachszöpfe am sogenannten Wocken (Flachsstab) am Webstuhl. Diese Halterung sollte verhindern, dass sich die langen Flachsfasern vor dem Spinnen nicht verhedderten.
Da Flachs mit einer Linksdrehung der Faser von der Wurzel bis zur Blüte wächst, musste man auch immer linksherum spinnen. Dadurch konnte man später das Garn feiner und enger weben.
Die Faser des Flachs ist sehr hart, und so war es wichtig, dass die Frauen beim Spinnen immer feuchte Finger hatten. Dazu gab es an machen Spinnrädern kleine Wasserschalen. Manche Frauen schworen auf Kaffee zum Befeuchten. Es durfte nicht passieren, dass die Finger blutig wurden. Wir kennen das aus dem Märchen „Frau Holle“.
Das Spinnen war eine eintönige Arbeit und so trafen sich mehrere Frauen und auch die konfirmierten Mädchen abends im sogenannten „Spinnetropp“. Das war keine feste Einrichtung, sondern man traf sich mit seinem Spinnrad immer bei einer anderen Familie. Dabei wurde viel Erzählt und Spaß gemacht, also „Herumgeflachst“. So manche Ehe wurde hier auch ,,angesponnen“.
Bauernwebstuhl
In einigen Bauernhäusern war ein Webstuhl vorhanden, auf dem in den Wintermonaten das unverwüstliche Leinen gewebt wurde. Leinen gilt als stabilste Naturfaser.
In Bühren gab es in den 1920er Jahren noch eine Spinnerei und einen Leineweber.
Im Kopfsteuerbescheid von 1689 waren 16 Leineweber bei 362 Einwohnern aufgeführt.
Leinenlaken beim Bleichen
Letzter Verarbeitungsschritt war das Bleichen. Das war für diesen Zweck eine extra gepflegte Rasenfläche. Auf diese wurden die gewebten Leinenbahnen gelegt, verspannt und leicht feucht gehalten. Dadurch wurde das Leinen in Form gebracht und die Sonne bleichte die grau/bräunliche Naturfarbe in einen hellen Ton.
Je nach Faser und Verarbeitung gab es zum Schluss unterschiedliche Qualitäten.
Vom Leinensack über Haushaltswäsche bis hin zum Kleidungsstück.
Aussteuweschrank mit Leinen Bauernkleidung aus Leinen
Heute gewinnt Leinen, als ökologische Naturfaser, wieder an Bedeutung.
Foto: Manufactum
*1)
Leinsam/Leinöl.
Noch in der heutigen Zeit hat der Leinsamen in der Volksmedizin einen hohen Stellenwert.
Auch wird aus dem Leinsamen eines unser wertvollsten Speiseöle, das Leinöl, gepresst. *2)
Selbst in früheren Zeiten war der bei der Ölgewinnung zurückgebliebene „Ölkuchen“ ein wertvolles Futtermittel.
Am Ende eines langen Verarbeitungsprozesses war die komplette Pflanze verwertet. Es gab keinen Abfall!
* 2)
Das Gewinnen von Leinöl in einer Ölmühle/Stampfmühle wird an anderer Stelle beschriebe.
Foto: iStockphoto
Lehrfilm: "Vom Flachs zum Leinen"